Der Anruf des Chefarztes war deutlich: Ein Workshop zur Resilienz durch Sinn – für sein 35-köpfiges Team, das tagtäglich an der Grenze zwischen Leben und Tod arbeitet.
Der grundlegende Sinn ihrer Arbeit? Natürlich gegeben. Doch akuter Personalmangel, strukturelle Belastungen im Gesundheitssystem – und ganz konkret: ein extrem belastender Patientenfall – ließen selbst dieses eingespielte Team aus Ärzt:innen, Pflegekräften und Therapeut:innen an die Grenzen der psychischen Belastbarkeit kommen.
Ob ich da nicht was machen könnte? In meinem Buch würde ich doch von “Führung — mit Sinn” schreiben…
Stimmt. Und doch schien es mir eine besondere Herausforderung.
Die Dimension ethischer Grenzfälle – medizinisch machbar, menschlich fragwürdig – war nicht zu unterschätzen. Nach einem ausführlichen Erstgespräch sagte ich zu.
Soweit, so gut.
Bis wenige Tage vor dem Workshop der nächste Anruf kam: Der Patient, der das Team so herausgefordert hatte, war auf tragische Weise verstorben. Die Wucht dieses Falls würde den Workshop überschatten, so der Chefarzt.
„Sollen wir den Workshop verschieben?“, fragte ich.
„Auf keinen Fall. Den brauchen wir jetzt erst recht.“
Was dazu beigetragen hat, dass der Workshop nicht überschattet wurde – sondern zu einem wertschätzenden, konstruktiven Austausch wurde –, teile ich in diesem Newsletter.
Ich bin überzeugt: Diese Erkenntnisse lassen sich auch auf andere Kontexte übertragen. (Okay, vielleicht die Turnhalle nicht.)
1. “I (don’t) know” — Kompetenzen klären und würdigen
Auch wenn Menschen in jedem Beruf menschlich agieren – es hilft, die branchenspezifischen Dynamiken zumindest ansatzweise zu verstehen.
In diesem Fall: Krankenhausalltag, Abläufe, Entscheidungslogiken.
Ich hatte ein solides Briefing vom Chefarzt – genug, um mich in eine Meta-Perspektive zu begeben.
Aber die Details? Ethische Entscheidungswege, interdisziplinäre Zusammenarbeit, medizinische Fachfragen? Fehlanzeige.
Und genau das habe ich transparent gemacht.
Ich habe dargelegt, welche Kompetenz ich mitbringe (Resilienz durch Sinn – mein Kernthema), und ebenso, worin nicht meine Stärke liegt (medizinisches Fachwissen).
Das Learning: Kompetenzen klar benennen – bei mir und bei den Teilnehmenden. Das vermeidet verdecktes Statusgerangel und schafft Raum für echtes Lernen.
2. Der Klassiker: Erwartungsmanagement
Klingt banal, ist aber zentral.
Gleich zu Beginn habe ich transparent gemacht:
Was ist Ziel und Nutzen des Workshops? (konkrete Impulse für Resilienz)
Was wünsche ich mir von der Gruppe? (Offenheit und Neugier)
Was kann ich nicht leisten – und warum? (Umfangreiche Aufarbeitung des Falls)
Das Learning: Klarheit schützt vor Enttäuschung. Und schafft zugleich Vertrauen. As simply as that.
3. Name the elephant (oder: Implizites explizit machen)
Der belastende Patientenfall war der sprichwörtliche Elefant im Raum.
Option 1: Nicht ansprechen – in der Hoffnung, es erledigt sich von selbst. Erfolgsaussichten? Gleich null.
Option 2: Es direkt ansprechen – mit dem Risiko, Emotionen hochkochen zu lassen. Erfolgsaussichten? Recht hoch.
Ich entschied mich klar für Option 2.
Ich habe das Thema bewusst benannt, die emotionale Lage anerkannt und transparent gemacht, dass wir diesen komplexen Fall in diesem Rahmen nicht lösen können – aber vielleicht etwas für zukünftige Situationen daraus mitnehmen können.
Was passierte? Der Fall spielte im weiteren Verlauf keine Rolle mehr. Stattdessen kamen andere Themen, Perspektiven, Erfahrungswerte auf den Tisch – und genau darum ging es.
Das Learning: Was eh alle fühlen und wissen, darf auch gesagt werden. So entsteht wieder Fokus und Verbindung.
Ach ja, dann war da noch die Turnhalle
Weil kein anderer Raum verfügbar war, fand der Workshop zwischen Turnmatten, Gummibällen und Sprossenleitern statt.
Mein bisher ungewöhnlichstes Setting.
Ob das mit zum Erfolg beigetragen hat? Wer weiß.
Aber das Learning: Auch zwischen Basketballkorb und Weichbodenmatten kann Sinn ermöglicht werden – wenn Haltung und Vorbereitung stimmen.